Kein folgenreicher Kneipenabend in Offenbach – über rassistische Fußballfans und Polizisten, die keine Konsequenzen befürchten müssen

Am 13. Dezember 2018 kam es am späten Abend in der Offenbacher Kneipe Anita’s Pilsstube in Innenstadt zu neonazistischen Aussagen und mehreren, zum Teil massiven, Körperverletzungen.
Unvermittelt stimmten sechs bis sieben etwa Anfang bis Mitte 20-jährige Männer gemeinsame Gesänge an und skandierten rassistische und völkischen Parolen wie “Deutschland den Deutschen – Ausländer raus”.
Einige in der Kneipe anwesende Gäste interventierten dankenswerterweise auf die Ausrufe der Männergruppe. Diese reagierte daraufhin aggressiv und beleidigten sowie bedrohten die intervenierenden Personen. Einer der Männer schlug einem Gast mit der Faust ins Gesicht. Ein anderer warf einen Bierkrug gegen den Kopf einer Person, die daraufhin im Krankenhaus behandelt werden musste. Als die Polizei eintraf wurden vier der Täter festgenommen. Zwei weitere Männer entkamen aus der Kneipe. Sie wurden jedoch später von der Polizei ausfindig gemacht.

Im Nachgang berichtete die Presse darüber, dass einer der Täter Polizeianwärter in Offenbach sei. Der Vorfall fand bis auf wenige Zeitungsartikel kaum Beachtung. Auch die Offenbacher Ermittlungsbehörden zeigte keinen großen Aufklärungswillen zu dem besagten Vorfall. So wurden beispielweise Videoaufzeichnungen von Polizist*innen einige Tage nach der Tat in der Kneipe “gesichert”. Die Polizist*innen behaupteten vor der Wirtin, dass sie ihnen das Material auszuhändigen habe. Dies muss sie ohne Durchsuchungsbefehl von Rechtens her nicht. Sie konnte keine Sicherungskopien anfertigen und erhielt die Dateien bis heute nicht wieder. Über 2,5 Jahre nach der Auseinandersetzung in Anita’s Pilsstube kam es am 22. Juni 2021 schließlich zum Prozess gegen die sechs Täter vor dem Offenbacher Jugendgericht. Der Vorwurf lautete lediglich Volksverhetzung und Körperverletzungen.
Nach der Verhandlung am 22. Juni 2021 wurde das Verfahren gegen eine Geldstrafe eingestellt. Da einer der Angeklagten zum Tatzeitpunkt 20 Jahre alt war, wurde der Prozess vor dem Offenbacher Jugendgericht geführt. Im Gerichtssaal wurden die unrechtsmäßig konfeszierten Videoaufnahmen gesichtet. Darauf sei laut einem Zeitungsartikel aus der Offenbacher Post (OP), welcher am Tag nach der Verhandlung erschien, der Wurf mit dem Bierkrug und die Ohrfeige (tonlos) dokumentiert. Die Ohrfeige wird von einem der Angeklagten eingräumt. Laut seinem Anwalt Thilo Göbel und dem weiteren verfahrensbeteiligtem Verteidiger Alois Kovac, sei mit dem Ausspruch “Ausländer raus” der Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllt. Es können lediglich die Körperverletzung verurteilt werde.
Soweit lässt es der vorsitzende Richter gar nicht erst kommen. Er zeigt sich sehr verständnisvoll gegenüber den jungen Nazis. “Man muss berücksichtigen, dass das mittlerweile zweieinhalb Jahre dauert. Das belastet ja auch.”, wird Jugendrichter Volker Weimar in der OP zitiert. Zwei der Angeklagten machen von ihrem Aussageverweigerungsrecht gebrauch, ein weiterer Angeklagter behauptet zum Tatzeitpunkt auf Toilette gewesen zu sein. Der Bierkrug-Werfer gibt vor Gericht an, dass es sich bei den Parolen nicht solcher rassistischen Inhalts gehandelt habe, sondern “wahrscheinlich um Fußballlieder”.
Im Zeitungsartikel wird währenddessen die Verantwortung um fehlenden Aufklärungswillen auf die Betroffenen und somit Zeug*innen der Eskapaden in der Kneipe abgeschoben. Diese seien nicht vor Gericht erschienen. Das entspricht jedoch nur der Halbwahrheit: die Zeug*innen wurden wenige Minuten vor ihrem eigentlichen Termin zur Zeugenaussage durch das Gericht telefonisch kontaktiert. Ihnen wurde ohne Begründung mitgeteilt, dass sie nicht mehr erscheinen brauchen.
Das Verfahren gegen die sechs Angeklagen wurde in Absprache mit der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern gegen Geldstrafen von 250-1000€ vorläufig eingestellt. Begründet wird die Einstellung damit, dass die Männer nicht vorbestraft seien und ihr Leben im Griff hätten. Hier zeigt sich erneut, dass die deutsche Gerichte keinen Aufklärungswillen bezüglich rechter Taten hat. Durch eine Verzögerungstaktik wurde der Prozess solange hinausgezögert, dass das Gericht selbst behaupten kann, wie belastend die ganze Situation für die Angeklagten doch sei. Welche Belastung der Vorfall für die Zeug*innen und die damals verletzten Personen darstellte, wurde in dem Artikel mit keinem Wort erwähnt. Ein Bierkrugwurf gegen den Kopf ist kein Kavalliersdelikt und kann schlimmstenfalls tödlich enden.
Wir haben den Prozess zum Anlass genommen, an die Bemühungen angagierter Antifaschist_innen anzuschließen und die Identitäten der Täter genauer unter die Lupe zu nehmen. Einige der Täter sind bereits in der Vergangenheit durch rechtes Gedanken gut aufgefallen, haben zivilgesellschaftliche Positionen inne oder sind Angestellte der Stadt Offenbach.
Die Täter, mittlerweile zwischen 22 und 33 Jahre alt, verbindet nicht nur ihr rechtes Weltbild sondern auch der Fußball. Sie sind Fans des lokalen Fußballvereins Offenbacher Kickers (OFC).
Till Fiedler und Marcel Mandel sind im Fanbeirat des OFC. Mandel für Kategorie Offenbach und Fiedler für Offside. In der Vergangenheit konnten Offenbacher Nazis wie Andrew Klinkel(1) mit ähnlichen Fangruppen in Verbindung gebracht werden.
Fiedler beteiligte sich im Jahr 2020 auf einer sogenannten “Hygiene Demo” gegen die Corona-Maßnahmen auf dem Offenbacher Wilhelmspatz an einem Schutzkonzept aus dem Fußballumfeld. Auch der Angeklagte Feith Hummel bewegt sich in diesem Kontext. Der Fußballfan mit rechtem Weltbild pflegt eine langjährige Freundschaft zum bereits erwähnten Klinkel.
Vor Gericht stand außerdem Hendrik Röder, der als Schiedrichter für den FC Dietzenbach tätig ist. Ein weiterer Hobbysportler unter den Angeklagten ist Jonas Vöckel. Er spielte zuletzt Amateurfußball bei der SG Weißkirchen (Rodgau). Er begann im Jahr 2014 sein Studium bei der Stadt Offenbach und machte dort 2017 seinen Bachelor of Arts in Public Administration. Heute ist er bei der Stadt Offenbach im Ausländeramt tätig. Sein Sachgebiet sind sogenannte allgemeine Aufenhaltsangelegenheiten.
Die rechten Täter sind vor Gericht mit einer Geldstrafe davongekommen. Einmal mehr ist ein Übergriff von Nazis unter Beteiligung eines rechten Polizisten mit fadenscheiniger Argumentation unter den Tisch fallen gelassen worden. Das bestätigt erneut, dass man sich im Kampf gegen Nazis auf den Staat nicht verlassen kann! Wir sind außerdem der Überzeugung, dass es unabdingbar antifaschistische und gesellschaftliche Interventionen gegen Nazis bedarf, um sie in ihrem Handeln einzuschränken. Wenn Personen ihr rechtes Gedankengut nach außen tragen und gewaltätig werden, stellen sie eine Gefahr für alle dar, die nicht in ihr Weltbild passen oder sich ihnen entgegen stellen. Der Abend in Anita’s Pilsstube ist nur einer von vielen vermeintlichen Einzelfällen und lediglich ein kleines Puzzlestück im Komplex des #Polizeiproblems. Nazis haben in Fanbeiräten, auf Fußballplätzen oder -stadien und im Ausländeramt zu suchen!

(1) https://swing.blackblogs.org/archiv/2017-2/203-2/aryans-die-angreifer_innen-von-halle-ein-ueberblick/

Bericht zu dem Nazi-Vorfall in Anitas Pilsstube in Offenbach

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